Progressive Muskeldystrophie ist eine Gruppe seltener, vererbter Krankheiten, bei denen die Muskeln nach und nach ihre Kraft verlieren. Das passiert, weil die Muskelzellen geschädigt sind und diese Schäden nicht rückgängig gemacht werden können .
Die Krankheit betrifft ausschliesslich die Muskeln. Funktionen wie Blase und Darm, die Sinne, das Empfinden und die geistige Leistungsfähigkeit bleiben in der Regel normal.
Auch spastische Lähmungen, wie man sie bei Verletzungen des Gehirns oder Rückenmarks kennt, treten bei Muskeldystrophie normalerweise nicht auf.
Die Ursache liegt in einem Fehler bestimmter Gene. Dadurch fehlen wichtige Eiweisse zum Beispiel Dystrophin oder sie sind fehlerhaft. Diese Eiweisse sorgen normalerweise dafür, dass die Muskelfasern stabil bleiben. Fehlen sie, bauen sich die Muskeln langsam ab.
Quelle: muskelgesellschaft.ch
Welche Formen von Muskeldystrophie gibt es?
Es gibt über 30 verschiedene Arten von Muskeldystrophien. Sie unterscheiden sich darin, wie sie vererbt werden, in welchem Alter sie auftreten und wie schnell sie fortschreiten.
Die häufigste Form bei Kindern ist die Duchenne-Muskeldystrophie, gefolgt von der etwas selteneren Becker-Muskeldystrophie. Bei Erwachsenen tritt am häufigsten die Myotone Dystrophie auf.
Um einen Überblick zu geben, stellen wir nun die drei wichtigsten Formen kurz vor:
Duchenne-Muskeldystrophie
Diese Krankheit beginnt schon im Kleinkindalter, meist zwischen zwei bis fünf Jahren. Zuerst werden die Muskeln im Becken und in den Oberschenkeln schwächer.
Die Krankheit schreitet schnell voran. Im jungen Erwachsenenalter sind oft auch die Atem- und Herzmuskeln betroffen, was schließlich tödlich endet. Deshalb nennt man sie auch «maligne» (bösartige) Muskeldystrophie.
Duchenne-Muskeldystrophie betrifft fast ausschliesslich Jungen – etwa einer von 3.500 neugeborenen Jungen ist betroffen.
Becker-Muskeldystrophie
Die Becker-Muskeldystrophie ist eine mildere Form der Duchenne-Muskeldystrophie. Sie tritt seltener auf, betrifft aber ebenfalls fast nur Jungen.
Erste Symptome zeigen sich meist im Schulalter. Die Krankheit schreitet deutlich langsamer voran, sodass manche Betroffenen noch viele Jahre laufen können – manchmal sogar bis ins höhere Alter.
Auch hier sind zunächst die Muskeln im Becken und in den Oberschenkeln betroffen. Aufgrund des langsameren Verlaufs wird diese Form als «benigne» (gutartig) bezeichnet.
Myotone Dystrophie
Diese Form ist die häufigste Muskelerkrankung bei Erwachsenen.
Die ersten Symptome treten meist im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter auf. Auch sie wird vererbt.
Typisch für die myotone Dystrophie ist, dass sich die Muskeln nach einer Anspannung nur verzögert entspannen – dieses Phänomen nennt man «Myotonie».
Der Muskelschwund folgt zudem einem besonderen Muster: Betroffen sind vor allem die Muskeln im Gesicht, am Hals, in den Unterarmen und Händen sowie in den Unterschenkeln und Füssen.
Zusätzlich zu den Muskelproblemen treten oft weitere Beschwerden auf, die unabhängig von den Muskeln sind. Dazu gehören unter anderem grauer Star, Hormonstörungen, Herzprobleme, Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken, Verdauungsprobleme, Hörstörungen und vermehrt Gallensteine.
Da die häufigste Form bei Kindern die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) ist, werden wir diese folgend, genauer erläutern.
Quellen: Muskelgesellschaft.ch
Was genau ist defekt bei Duchenne-Muskeldystrophie?
Das Dystrophin-Gen auf dem X-Chromosom ist verändert. Es sorgt normalerweise für das Eiweiss Dystrophin, das die Muskelzellmembran stabilisiert. Fehlt dieses Eiweiss, zerfallen die Muskelfasern nach und nach.
Quelle: msdmanuals.com
Warum sind vor allem männliche Personen betroffen?
Duchenne- und Becker-Muskeldystrophie werden X-chromosomal-rezessiv vererbt.
Jungen haben nur ein X-Chromosom. Ist das Gen darauf defekt, tritt die Krankheit auf.
Mädchen haben zwei X-Chromosomen. Wenn eines defekt ist, kann das andere meist ausgleichen.
Quelle: muskelgesellschaft.ch
Was ist der Unterschied zwischen Muskeldystrophie, ALS und Friedreich-Ataxie?
Muskeldystrophie:
Primäre Muskelerkrankung, fortschreitend, betrifft Muskelkraft. Beginn meist im Kindesalter.
ALS (Amyotrophe Lateralsklerose):
Schädigt Nervenzellen (Motoneuronen) in Gehirn und Rückenmark. Rascher Verlauf, beginnt im Erwachsenenalter.
Friedreich-Ataxie:
Neurodegenerative Erkrankung, betrifft vor allem Koordination und Gleichgewicht. Start meist in der Pubertät, manchmal früher oder später. Häufig zusätzlich Herzprobleme und Diabetes.
Quellen: hirnstiftung.ch, muskelgesellschaft.ch, www.usz.ch
Was sind die symptome einer Duchenn-muskeldystrophie?
Die Duchenne-Muskeldystrophie beginnt meist im Kleinkindalter. Die ersten Anzeichen sind:
- Der Junge bewegt sich wenig, lernt spät laufen und fällt oft hin.
- Beim Gehen wirkt er unbeholfen, läuft mit typischem «Watschelgang» und die Waden werden auffällig dick.
Wenn die Krankheit fortschreitet, kommen weitere Symptome dazu:
- Gesunde Kinder können sich mit 4 Jahren aus der Rückenlage ohne Hilfe aufsetzen und aufstehen. Ein Duchenne-Junge muss sich erst auf den Bauch drehen, dann über den Vierfüsslerstand und mit Abstützen an den Beinen hochkommen. Zu diesem Zeitpunkt sind schon 40 % der Muskelfasern zerstört.
- Rücken- und Bauchmuskeln werden schwächer, ein Hohlkreuz entsteht.
- Gelenke in Hüfte, Knie und Füssen versteifen (Kontrakturen).
- Schulterblätter stehen ab, weil die Schultermuskeln schwach sind.
- In Rückenlage kann der Junge den Kopf kaum anheben.
- Ab etwa 4 Jahren läuft er oft auf Zehenspitzen wegen Muskelschwäche und Kontrakturen.
- Die Wirbelsäule kann sich verkrümmen (Skoliose).
Die Krankheit betrifft nicht nur die Muskeln der Arme und Beine, sondern kann auch andere Bereiche schwächen:
- Der Herzmuskel ist oft geschädigt, anfangs ohne Beschwerden.
- Etwa ein Drittel der Kinder hat Sprach- oder Lernprobleme.
- Später können Schluckstörungen auftreten.
- Bewegungsmangel oder falsche Fürsorge führen oft zu Übergewicht.
- Die Atemmuskulatur wird schwächer, Husten bei Erkältung fällt schwer.
Ohne Behandlung können die Kinder zwischen 8 und 12 Jahren nicht mehr laufen und brauchen einen Rollstuhl.
Quelle: Muskelgesellschaft.ch
Was sind Kontrakturen?
Das sind dauerhafte Verkürzungen von Muskeln, Sehnen oder Gelenken. Diese führen zu einer Gelenkversteifung und Bewegungseinschränkung.
Sie entstehen durch Bewegungsmangel oder falsche Lagerung.
Vorbeugung: Regelmässig dehnen, richtige Lagerung und bei Bedarf Orthesen einsetzen.
Quelle: usz.ch
Wie wird eine Duchenne-Musekldysrtophie diagnostiziert?
Der erste Schritt zur Diagnose ist eine gründliche Untersuchung durch eine:n (Kinder-)Neurologen:in.
Dabei werden Muskeln, Nerven, Gelenke, Herz und Lunge überprüft. Um die Diagnose zu bestätigen, sind weitere Untersuchungen notwendig:
- EMG (Elektromyographie): Misst die elektrische Aktivität der Muskeln.
- Ultraschall und MRT (Magnetresonanztomografie): Zeigen Veränderungen im Muskelgewebe.
- Blutuntersuchungen: Ein erhöhter Kreatinkinase-Wert (CK) kann auf eine Muskelerkrankung hinweisen.
- Genetische Tests: Bestätigen eine Mutation im Dystrophin-Gen.
- Muskelbiopsie: Falls nötig, liefert eine Gewebeprobe weitere Erkenntnisse.
Je früher Muskeldystrophien erkannt werden, desto besser können Betroffene behandelt und unterstützt werden. Eine frühe Diagnose hilft der Familie, den Krankheitsverlauf zu verstehen, sich darauf einzustellen und die bestmögliche Versorgung zu organisieren.
Wie wird Muskeldystrophie behandelt?
Da die genetische Ursache nicht heilbar ist, zielt die Therapie darauf ab:
- Muskelkraft möglichst lange erhalten
- Fehlstellungen vorbeugen
- Alltag erleichtern
Die Behandlung wird individuell angepasst, weil Verlauf und Symptome unterschiedlich sind.
Physiotherapie und Bewegung
- Physiotherapie: Spezielle Übungen helfen, die Muskeln zu kräftigen und beweglich zu halten.
- Wassertherapie: Bewegung im warmen Wasser wird oft als angenehm empfunden, da die Schwerkraft dort kaum spürbar ist.
- Steh-Therapie: Bei zunehmender Geh- und Stehunfähigkeit helfen Stehbretter oder Aufrichtstühle, um Fehlhaltungen der Wirbelsäule und Muskelverkürzungen vorzubeugen.
Hilft Muskeltraining gegen Musekeldystrophie?
Bewegung ja – aber dosiert! Physiotherapie und gezielte Übungen können Beweglichkeit und Lebensqualität verbessern. Zu intensive Belastung schadet jedoch den Muskelfasern. Deshalb ist es wichtig, Überlastung zu vermeiden.
Welche Aktivitäten sind förderlich – welche eher schädlich?
✅ Gut:
- Physiotherapie
- Schwimmen
- Ergotherapie
- Alltagstätigkeiten mit Pausen
⛔ Vermeiden:
- Überanstrengung
- Sprungbewegungen
- Exzessives Krafttraining
Vorbeugung von Muskelverkürzungen (Kontrakturenprophylaxe)
Dehnübungen: Passive Dehnübungen verhindern, dass Muskeln, Sehnen und Bänder sich verkürzen und dadurch Gelenke unbeweglich werden. Solche Verkürzungen können nämlich Gelenke zunehmend unbeweglich und schliesslich steif werden lassen.
Kann eine Duchenne-Muskeldystrophe, Schmerzen auslösen?
Ja, Schmerzen entstehen häufig durch Haltungsprobleme, Kontrakturen oder unbequeme Sitz- und Liegepositionen.
Individuell angepasste Orthesen, Sitzhilfen, Spezialbetten oder medikamentöse Behandlungen wie muskelentspannende oder entzündungshemmende Mittel können helfen.
Medikamentöse Behandlung
- Kortikosteroide (Kortison): Können den Muskelabbau verzögern.
- ACE-Hemmer: Unterstützen die Herzfunktion bei Herzmuskelerkrankungen, indem sie den Blutdruck senken.
- Beta-Blocker: Können bei Herzinsuffizienz helfen.
- Diuretika: Entwässernde Medikamente entlasten das geschwächte Herz.
Wichtig: Alle Medikamente immer in Rücksprache mit dem Arzt einnehmen.
Operative Eingriffe
Operationen: Gelenkversteifungen (Kontrakturen) oder eine ausgeprägte Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) können operativ korrigiert werden, um Schmerzen und Atemprobleme zu vermeiden.
Ernährung
Ernährungssonde: Später kann es schwerfallen, Nahrung und Flüssigkeiten sicher zu schlucken. Dadurch steigt das Risiko, dass Speisen in die Lunge gelangen und eine Lungenentzündung auslösen.
Falls nötig, kann eine Ernährungssonde helfen, die Versorgung mit Nährstoffen sicherzustellen.
Atemunterstützung
- Atemübungen: Spielerische Übungen wie Kerzen auspusten, Flötenspielen oder Singen fördern die Atemtiefe und können später bei einer notwendigen Atemunterstützung helfen.
- Langzeitbeatmung: Bei fortschreitender Erkrankung ist eine maschinelle Atemunterstützung oft notwendig. Sie verbessert die Lebensqualität und hat die Lebenserwartung bei Duchenne-Muskeldystrophie in den letzten Jahrzehnten erheblich erhöht.
Was ist eine Tracheotomie und wann ist sie notwendig?
Eine Tracheotomie ist ein chirurgischer Schnitt in die Luftröhre, um eine direkte Beatmung zu ermöglichen. Sie wird notwendig, wenn die Beatmung über Maske (nichtinvasiv) nicht mehr ausreicht oder wenn häufige Infekte auftreten.
Quelle: beatmungspflegeportal.de
Kann man mit Beatmungsgerät sprechen?
Ja:
- Bei nichtinvasiver Beatmung über Maske meist problemlos.
- Bei Tracheotomie hängt es von Technik, Einstellungen und Training ab. Sprachventile oder spezielle Kanülen ermöglichen das Sprechen.
Quellen: Quellen: usz.ch, Muskelgesellschaft.ch, beatmungspflegeportal.de
Wie wirkt sich Muskeldystrophie auf Sexualität und Beziehung aus?
Die sexuelle Empfindung ist in der Regel nicht eingeschränkt. Herausforderungen entstehen eher durch eingeschränkte Mobilität oder Pflegeabhängigkeit.
Offene Kommunikation, Vertrauen und bei Bedarf Beratung durch Fachpersonen helfen.
Quelle: muskelgesellschaft.ch, eigene Erfahrung aus Beratungspraxis
Was sollten Betroffene bei Kinderwunsch beachten?
Frauen, die das mutierte Dystrophin-Gen tragen, können das Risiko an ihre Söhne weitergeben.
Eine genetische Beratung wird empfohlen, um Risiken und Möglichkeiten (z. B. Pränataldiagnostik) zu besprechen.
Quelle: duchenne-schweiz.ch
Wie ist die Lebenserwartung bei Duchenne-Muskeldystrophie?
Früher lag sie bei etwa 20 Jahren. Dank moderner Beatmung, Physiotherapie und Medikamenten erreichen heute viele Betroffene ein Alter von über 30 Jahren.
Quelle: duchenne-schweiz.ch
Was ist die häufigste Todesursache bei Duchenne-Muskeldystrophie?
Die häufigsten Ursachen sind Herzinsuffizienz und Atemversagen infolge Muskelschwäche.
Quelle: hirnstiftung.ch
Welche nicht pflegerische Hilfsmittel gibt es?
Rollstühle mit Spezialfunktionen:
- Elektrorollstühle mit Höhenverstellung
- Modelle mit Stehfunktion
- Roboterarme für selbstständige Nutzung von Gegenständen
→ Diese erhöhen Autonomie und Teilhabe.
Wichtig: Frühzeitig evaluieren und durch Fachpersonen begleiten lassen.
Quellen: Pro Infirmis, IV Schweiz
Digitale Hilfsmittel
- Sprachsteuerung für Geräte
- Computerbedienung mit Joystick oder Augensteuerung
- Digitale Kalender zur Strukturierung des Alltags → Fördern Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.
Quelle: assistive-technology.ch
Muskeldystrophie betrifft nicht nur den Körper – sie betrifft das ganze Familiensystem. Wer früh Bescheid weiss, kann besser begleiten, unterstützen und stabilisieren. Lese dazu auch den Erfahrungsbericht der Familie Ryff. Dieser gibt Einblick in den Alltag einer Familie, dessen Sohn an Muskeldystrophie leidet.
Betroffene haben Recht auf fachliche und emotionale Begleitung sowie eine Vergütung der gelesiteten Pflegeleistungen. solicare ist spezialisiert auf die Angehörigenpflege. Melde dich unverbindlich für ein Beratungsgespräch. Weitere Infos findest du auch unter Lohn für die Pflege von Angehörigen.
Pflegende Angehörige leisten täglich wertvolle Arbeit, oft unter grosser Belastung. Hier sind einige Anlaufstellen, die Unterstützung und Entlastung bieten:
Schweizerische Muskelgesellschaft
Kanzleistrasse 80
8004 Zürich
Tel.: 044 245 80 30
- Informationen aller Art über Muskeldystrophie Duchenne.
- Lager für Duchenne Kinder
- Anträge auf finanzielle Unterstützung für grössere Vorhaben wie Umbauten, Fahrzeuganschaffung etc. werden geprüft und der Muskelgesellschaft bekannte Sponsoren mit der Bitte um Prüfung weitergereicht
- Jahrestreffen
Stiftung Cerebral
031/308 15 15
Vereinigung Cerebral
- diverse Hilfsangebote und Projekte
Selbsthilfe Schweiz
- Übersicht und Suchfunktion für Selbsthilfeangebote nach Thema
Mathilde Escher Stiftung
Mathilde Escher Stiftung
Lengghalde 1
8008 Zürich
Tel.: 044 389 62 00
info@mathilde-escher.ch
- Wohnen & Freizeit
- Lernen & Arbeiten
- Pflege & Therapie
- Beratung & Information
Duchenne-Schweiz
- Plattform von Betroffenen für Betroffene und alle Interessierten. Ziel ist, möglichst umfassende Informationen in komprimierter Form zur Verfügung zu stellen.
- Tipp: Für die Kommunikation mit Kindern ist folgendes Dokument von duchenne-schweiz sehr zu empfehlen: «DMD und Ich»
Duchenne-und-du
- Informationsplattform für alle, die mit Duchenne-Muskeldystrophie in Berührung kommen. In anschaulicher, leicht verständlicher Form werden Informationen zum Leben mit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) bereitgestellt. Die Plattform wird vom Pharmakonzern PTC Therapeutics betrieben.