Mit 67 Jahren erleidet der Ehemann von Frau D. einen schweren Schlaganfall. Alles verändert sich. Sie hätte ihn ins Heim geben können. Doch sie entscheidet sich für einen anderen Weg – den schwereren. Den liebevolleren. Den menschlichen.
Im Gespräch mit Frau D. reden wir über Liebe, Einsamkeit, Wut, Hoffnung – und darüber, warum sie heute sagt: «Ich bereue nichts.»
Es ist der 31. März 2014. Herr D. klagt über Unwohlsein. Es sind keine eindeutigen Symptome und doch entscheidet Frau D. ihn zum Hausarzt zu bringen. Den ganzen Nachmittag unterzogen Sie ihm Checks und Tests. Der Hausarzt findet nichts und schickt die beiden nach Hause.
«Zu Hause steigen wir aus dem Auto aus, und er sackt zusammen. Seine Mundwinkel hingen nach unten. Ich rief sofort die Ambulanz.»
Diese bringt ihn umgehend ins Spital Biel und später verlegen sie ihn ins Inselspital Bern.
Die Diagnose: schwerer Schlaganfall. Hemiparese. Sprachzentrum zerstört.
Prognose: sehr düster.
«Ich sass die ganze Nacht auf einem Plastikstuhl in der Notaufnahme. Ich stand unter Schock. Da hatte uns der Schlag getroffen – uns beide. Ich wusste nicht, wie ich das alles stemmen sollte. Ich wusste nur, was es heisst, einen Schlaganfall zu haben, denn ich bin selbst Pflegefachfrau. Wie ein Karussell in einer Endlosschlaufe sah ich alle diese Bilder vor mir: Abhängigkeit, Sprachlosigkeit, Pflegeheim.
Ich hatte Angst.
Für ihn.
Und für mich.
Rückblickend kann ich sagen, das war die schlimmste Nacht, die ich in all den Jahren seit dem Schlaganfall erlebt habe. Es war der Tag, an dem sich alles veränderte.»
Zwischen Nähe und Einsamkeit
Frau D. erzählt von der schwierigen Anfangsphase. Durch die komplette Zerstörung des Sprachzentrums konnte Herr D. nicht mehr sprechen. Anfangs versuchte er es noch. «Wir hörten Laute, sahen seine Mimik und seine Gesten. Er meinte, dass man ihn versteht. Aber niemand konnte ihn verstehen. Zuerst wurde er wütend. Und dann… wurde er einfach still.»
Die Sprachlosigkeit zerriss nicht nur die Kommunikation. Sie zerschnitt auch soziale Verbindungen. «Freunde kamen nicht mehr. Sie wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Ich fühlte mich sehr einsam. Diese Stille war manchmal kaum auszuhalten.»
Die Entscheidung: ich werde pflegende Angehörige
«Drei Wochen vor dem Schlaganfall hatte ich eine Führungsposition in einer öffentlichen Spitex angetreten. Ich wollte nochmals durchstarten. Karriere machen. Und dann ist plötzlich alles anders. Ich wusste, das Heim kommt nicht in Frage. Ich hätte das nicht ertragen. Mit 67 kommt man doch noch nicht ins Pflegeheim. Und zudem: als Pflegefachperson hätte ich dort vermutlich ständig interveniert. Plötzlich war mir klar: Ich nehme ihn mit nach Hause.»
Alle rieten Frau D. davon ab.
Niemand wollte sie unterstützen.
Alle sagten: das geht nicht, das schaffst du nicht.
«Und ich glaubte daran. Ich bin eben eine Macherin», Frau D. lächelt bei dieser Aussage. «Ich habe alles organisiert: Umbauten, Spitex, Tagesstätte, Fahrdienste, Therapeuten. Ich habe das Projekt 'Zu Hause' geführt wie ein Betrieb. Und das erfolgreich.»
Sie kehrt in ihr Berufsleben zurück. Auch aus finanzieller Notwendigkeit. Wo sie kann, übernimmt sie Pflege- und Betreuungsarbeit zu Hause. Ihre Tage sind lang und anstrengend.
Und dann kam solicare
«Ich sass wieder einmal auf einem Stuhl in der Notaufnahme. Wie so oft. Da kam eine Ärztin auf mich zu, die mich inzwischen kannte. Sie sagte: Ist dir schon aufgefallen, dass du enorm viel leistest und dass du dafür neben Anerkennung und Unterstützung auch eine finanzielle Entlohnung verdienst?»
Diese Begegnung führte zu solicare.
«Das war mein Rettungsanker. Ich fühlte mich ernst genommen und endlich auch verstanden. Von da an wurde meine Arbeit nicht nur gesehen, wertgeschätzt und anerkannt – sondern auch entlohnt. Das tut so gut.»
Seit 3 Jahren übernimmt sie die gesamte Pflegearbeit für ihren Mann. «Die Unterstützung der Spitex hat mich eingeschränkt. Mein Tagesablauf war fremdbestimmt – je nach zeitlicher Kapazität der Spitex. Jetzt sind wir frei und ich gestalte den Tag nach unseren Bedürfnissen. So können wir viel mehr gemeinsam unternehmen und unterwegs sein.»
Seitdem ist sie bei solicare angestellt. Und sie bleibt.
«Ich wurde gefragt, ob ich nicht zu einer anderen Organisation wechseln will. Aber wieso? Es stimmt einfach alles. Ich habe meine Ansprechperson, und ich werde sowohl fachlich als auch menschlich unterstützt..»
Alltag zwischen Pflege und Pause
Solange die beiden noch im eigenen Haus wohnten, gab es fast keine Me-Time für Frau D. Sie jonglierte zwischen Haushalt, Umgebungsarbeiten des Hauses, Arbeit und Pflege ihres Ehemannes. Erst seit sie in eine Wohnung gezogen sind, hat Frau D. etwas Luft. Durch ihre jahrelange Erfahrung als Pflegefachfrau und pflegende Angehörige kennt sie ihren Mann und die Situation bestens.
«Ich habe herausgefunden: Wenn er schläft, kann ich ihn 3 Stunden allein lassen. In dieser Zeit gehe ich zum Sport, einkaufen oder in den Englischkurs. Seit wir in die Wohnung gezogen sind, ist alles leichter.»
Was bleibt
«Dieses Interview gab mir Anlass, alles zu reflektieren und ich hatte Tränen in den Augen. Ich habe mich gefragt: Warum mache ich das eigentlich alles? Und die Antwort ist: Weil da eben Liebe im Spiel ist. In all den Jahren stimmte dieser Weg immer für uns beide. Ich hätte ihn nie ins Heim geben können. Wir haben nicht viele seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten erhalten können. Aber er nimmt durch mich und meine Pflege noch am Leben teil und mir geht es ebenfalls viel besser mit dieser Situation. Ich bin seine Pflegerin, seine Managerin – aber auch seine Frau. Und wenn er mich anlächelt, dann weiss ich: Das hier ist richtig.»
Was sie sich wünscht? Nicht viel.
«Kraft, damit wir noch eine Weile so weitermachen können. Und ein Umfeld, das nicht nur sagt ‚du musst auch an dich denken‘ – sondern vielleicht einfach mal fragt: Wie kann ich helfen? Und dann auch wirklich unterstützt.»
Ein grosses Merci an Frau D. für ihre Offenheit. Ihre Geschichte zeigt: Pflege ist nicht nur Arbeit – sie ist Liebe, Ausdauer und oft auch stille Heldinnenschaft.
Mit dem Anstellungsmodell von solicare wird diese Arbeit sichtbar – und gewürdigt.